
Chemnitz (dpa) – Es gibt schließlich keine Alternative, da ist sich Robert Czajkowski sicher. Bei seiner Firma Terrot in Chemnitz klaffen bereits personelle Lücken, die weder von jungen Leuten aus Deutschland noch von Kollegen aus EU-Staaten zu füllen seien. Der Geschäftsführer des Herstellers von Rundstrickmaschinen erwartet, dass künftig jeder auch Mitarbeiter aus weiter entfernten Ländern braucht. „Man muss das Problem lösen, denn anders geht es nicht.“ Doch für die meisten deutschen Arbeitgeber hat diese Zukunft noch nicht begonnen, auch für Terrot nicht.
Obwohl drei von vier Unternehmen über Fachkräftemangel klagen, haben sich nur 17 Prozent bemüht, aus dem Ausland zu rekrutieren, so eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung. Einige der Gründe sind inländisch, etwa deutsche Visa-Papiere, Diplome und Berufserfahrung – hier plant Arbeitsminister Hubertus Heil Vereinfachungen.
Deutschland ist nicht immer die erste Wahl
Allerdings ist Deutschland nicht immer die erste Wahl für gut ausgebildete Fachkräfte, nicht zuletzt wegen der komplizierten Sprache. „Der Zuwanderungsgeist ist in Deutschland noch nicht da“, sagte die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, dem Portal t-online. Abseits der Metropolen sind die Barrieren hoch, im Osten etwas mehr als im Westen Deutschlands.
Geschäftsführer Czajkowski unterstützt die Initiative „Wirtschaft für das weltoffene Sachsen“, die eine Willkommenskultur nach fremdenfeindlichen Vorfällen fördert und bei der Integration hilft. Auch Chemnitz machte im August 2018 mit Ausschreitungen gegen vermeintliche Migranten Schlagzeilen. Das schlechte Image Sachsens ist aber nicht der Grund, warum Terrot bislang auf die Anstellung qualifizierter Arbeitskräfte in Drittstaaten verzichtet. „Diesen Schritt haben wir noch nicht gewagt“, sagt der 53-jährige Geschäftsführer.
Bürokratie und Kosten
Es gibt ein langes Bewerbungsverfahren, Anerkennung der Ausbildung, Bürokratie, Kosten. „Selbst um einen einfachen Mitarbeiter zu finden, muss man einen Headhunter einsetzen“, sagt Czajkowski. Dann bräuchten die neuen Mitarbeiter eine Wohnung, Sprachunterricht, Hilfe bei der Ankunft. „Wenn wir nach vier Wochen feststellen, dass die Person fachlich oder persönlich nicht geeignet ist, dann haben wir große Schwierigkeiten.
Hinzu kommt die Erfahrung: Wo wenige Ausländer leben, ziehen weniger ein, weil die Neuankömmlinge auf Unterstützung durch die Gemeinschaft hoffen. In Kleinstädten gibt es weniger Berührungspunkte, im Osten ist der Effekt noch stärker. Sarah Pierenkemper vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln hat die Zahlen: 15.000 Fachkräfte kamen 2021 nach ihren Angaben im Zuge der Bildungs- und Berufsmigration nach Ostdeutschland – von bundesweit 140.000.
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg arbeiten derzeit zwei Millionen Menschen aus Nicht-EU-Staaten in Westdeutschland in sozialversicherungspflichtigen Jobs – das entspricht einem Anteil von 7,5 Prozent. Das sind 700.000 mehr als 2017. In Ostdeutschland liegt dieser Anteil bei 5,3 Prozent. Allerdings hat sich die absolute Zahl seit 2017 sogar auf 336.563 verdoppelt.
Die DDR holt auf, sagt Vanessa Ahuja, zuständiges Vorstandsmitglied der Bundesagentur, der Deutschen Presse-Agentur. „Das ist wichtig und gut, denn der demografische Wandel betrifft sowohl den Westen als auch den Osten. Wir brauchen qualifizierte Zuwanderer aus Drittstaaten, damit der deutsche Arbeitsmarkt weiterhin gut funktioniert.“
Vieles hänge laut IW Pierenkemper vom persönlichen Engagement des Unternehmens ab, sich auch bei der Wohnungssuche oder der Jobsuche für einen Partner wirklich um neue Mitarbeiter zu kümmern. „Man muss verstehen, dass man in Deutschland nicht nur arbeiten, sondern auch leben will“, sagt der Experte.
Einer, der damit gute Erfahrungen gemacht hat, ist Frank Walter, Ausbildungsleiter bei HBS Elektroanlagenbau in Ottersdorf. Die Stadt bei Schleiz in Thüringen hat 881 Einwohner. Vor zehn Jahren sei dort der erste Ausländer aufgetaucht, erinnert sich der 37-jährige Walter. Seitdem hat sich viel verändert. Laut Walter hat HBS mittlerweile rund 350 junge Menschen aus dem Ausland im eigenen Ausbildungszentrum ausgebildet.
Wo ist hier die U-Bahn?
Begonnen hat alles mit einer Anstellung in Spanien – dort bezahlte der Lehrer aber erst die Ausbildung. Wie Walter sich erinnert, kamen Jugendliche aus Madrid nach Schleiz und fragten: Wo ist hier die U-Bahn, wo ist das Fußballstadion? „Sie haben sich hier nicht wirklich wohlgefühlt.“ Gefolgt von Rumänen und Bulgaren, gefolgt von Ukrainern, Weißrussen, Russen und anderen. Das Unternehmen geht an Schulen in den Herkunftsländern und bietet dort einen beschleunigten Deutschkurs und eine zweiwöchige Probezeit an. Sie veranstaltet Elternabende – weil sie gezielt Auszubildende sucht – und bereitet den Nachwuchs auf das vor, was ihn erwartet: eine ländliche Umgebung mitten in Thüringen, schön und sehr abgelegen.
„Bei uns hat es gut funktioniert“, sagt Walter. „Aber wir haben wirklich viel Energie hineingesteckt.“ Trotz des enormen Aufwands zahle es sich für das Unternehmen aus, 30 bis 40 Stellen im Jahr zu besetzen und nicht zu schrumpfen. Wenn sich Jugendliche in einen Sportverein oder ein Dorf integrieren, bleiben sie – nicht alle, aber viele, weiß der Ausbildungsleiter.
Oettersdorf hat sich damit abgefunden. Walter erzählt die Geschichte eines älteren Herrn, der sich freute, als ihm zwei mazedonische Jungen halfen, als sein Auto kaputt ging. Auch Bürgermeister Jürgen Tens freut sich auf die Teilnehmer aus der Ferne. „Es gibt gute Beispiele dafür, wie sich die Auszubildenden, die die Ausbildung abgeschlossen haben, vor Ort integrieren und in die Gemeinschaft einbringen“, sagte er.