
Kalter Truthahn aus russischem Gas
Putins Energiehammer trifft Deutschland am härtesten
Von Hannes Vogel
31.01.2023, 18:40 Uhr
Russlands Masterplan für einen Energiekrieg mit Europa geht nicht auf: Statt wirtschaftlichem Harmagedon gibt es nur eine kleine Winterrezession. Doch Grund zum Aufatmen gibt es nur bedingt: Deutschland wird Europa auch in diesem Jahr belasten.
Zuerst die gute Nachricht: Der schreckliche Weltuntergang wurde abgesagt. Als Wladimir Putin im Sommer damit begann, den Gashahn in Europa schrittweise zuzudrehen, kehrten sich die düsteren Prognosen ins Gegenteil. Von Deindustrialisierung, großen Stromausfällen und dem Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft war die Rede. Das wird in diesem Winter nicht passieren, es sei denn, etwas Ungewöhnliches greift ein. Die schlechte Nachricht: Während ein wirklich großer Crash ausbleibt, ist der Schaden des Landes durch Putins Energiekrieg unter den europäischen Wirtschaftsschwergewichten in Deutschland am höchsten.
Die deutsche Wirtschaft hat im vierten Quartal überraschend den Rückwärtsgang eingelegt. Von Oktober auf Dezember ging die Wirtschaftsproduktion nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um 0,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal zurück. Auch im Rest Europas sieht es nicht so rosig aus. Andere große Volkswirtschaften schnitten jedoch etwas besser ab.
Italien ging laut Statistikamt Eurostat nur um 0,1 Prozent zurück. Unterm Strich blieb Frankreich bei einem kleinen Plus von 0,1 Prozent. Und Spanien hat Putins Energieschock besser verkraftet als Deutschland mit einem Wachstum von 0,2 Prozent. Das deutlich kleinere Irland wuchs zum Jahresende sogar um 3,5 Prozent, während Litauen mit minus 1,7 Prozent einen noch stärkeren Rückgang verzeichnete. Und insgesamt verzeichnete die Wirtschaft in der Eurozone immer noch ein Mini-Wachstum von 0,1 Prozent – während Deutschland schrumpfte.
Hauptgrund für die Rezession ist die Kaufzurückhaltung der Verbraucher angesichts von Putins Energiekrieg. „Hohe Inflationsraten haben die deutsche Wirtschaft in eine Winterrezession gedrängt“, sagte Timo Wollmershäuser, Leiter Konjunktur am Ifo-Institut. Im laufenden Quartal ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein weiterer Rückgang zu erwarten, der sogar noch etwas stärker ausfallen dürfte als Ende 2022. „Damit wird die Wirtschaftsproduktion im Jahr 2019 wieder geringer ausfallen als vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie.“
Der Herbst ist milder als erwartet
Dass Deutschland härter getroffen wurde als andere große Euro-Staaten, lag unter anderem an seiner enormen Abhängigkeit von russischem Öl und Gas bis zu Putins Angriff auf die Ukraine. Auf diese Weise konnte Russland die Wirtschaft hierzulande stärker als anderswo bremsen, indem es den Gashahn öffnete. Dennoch wuchs die deutsche Wirtschaft im Jahr 2022 um 1,8 Prozent. Die lange vorherrschenden Horrorszenarien um den Krieg in der Ukraine traten nicht ein. Auch wenn es in der Eurozone insgesamt mit einem Plus von 3,5 Prozent im Gesamtjahr deutlich besser lief als in ihrer größten Volkswirtschaft.
Dass Deutschland überraschend gut durch diese Jahrhundertkrise gekommen ist, liegt vor allem an bemerkenswerten Verhaltensänderungen seiner Einwohner: Unternehmen und Haushalten ist es trotz allem gelungen, kalte russische Energie zu trinken und Unmengen an Gas einzusparen. Mit etwa 80 Prozent sind die Gasspeicher derzeit etwa 20 Prozent gefüllter als im Durchschnitt der letzten Jahre. Darüber hinaus hat Deutschland schnell begonnen, neue LNG-Terminals und neue Lieferanten wie Norwegen und Katar zu bauen. Hinzu kommt ein ungewöhnlich milder Winter.
Die Aussichten für das neue Jahr sind also nicht mehr so düster wie beim Angriff der Russen auf Kiew im Februar. „Es ist eigentlich nur eine technische Rezession – also zwei aufeinanderfolgende Quartale des BIP-Rückgangs – und nicht die bis vor kurzem befürchtete Wachstumsverlangsamung“, sagte der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Stefan Schneider. Einige Ökonomen erwarten sogar ein leichtes Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr, da der Staat private Haushalte und Unternehmen im Zusammenhang mit den stark gestiegenen Energiekosten mit milliardenschweren Hilfen unterstützt.
Deutschland als Bremse in Europa
Aber es ist noch ein weiter Weg. Entscheidend ist, was im nächsten Winter passiert. Die Risiken sind weiterhin hoch: Werden nach den LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Lubmin die LNG-Importplattformen in Brunsbüttel und Stade rechtzeitig ans Netz gehen? Schon jetzt ist klar, dass die Gaspreise deutlich höher bleiben werden, weil LNG deutlich teurer ist als die russische Pipeline. Das schmälert die Wachstumsaussichten.
Hinzu kommen die absehbaren Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB). 2022 erhöhte sie den Leitzins innerhalb weniger Monate viermal hintereinander auf 2,5 Prozent. Die Währungsaufseher haben angekündigt, 2023 im gleichen Tempo weitermachen zu wollen. Voraussichtlich schon am Donnerstag wird es soweit sein: Ein weiteres Plus von 0,5 Prozent gilt als sicher. Und das dürfte die Wirtschaft weiter dämpfen.
Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) bescheinigt Deutschland für 2023 das schwächste Wachstumspotenzial unter den großen Euro-Volkswirtschaften. In der aktuellen Prognose prognostiziert der IWF für das Gesamtjahr nur ein mageres Plus von 0,1 Prozent. Damit liegt Deutschland weit unter dem Durchschnitt der Eurozone (+0,7 Prozent) – und weit hinter allen anderen großen EU-Staaten. Nicht nur Frankreich (+0,7 Prozent), sondern auch Italien (+0,6 Prozent) und Spanien (+1,1 Prozent) liegen in diesem Jahr fast so deutlich vor Deutschland wie im Vorjahr.