
Das Berliner Startup Tibber läutet eine Stromrevolution in Deutschland ein: Tibber übermittelt täglich den Börsenpreis des Stroms an seine Kunden und verdient nichts am Verbrauch, sondern erhebt eine monatliche Servicegebühr von 3,99 Euro. Ein Zusatzgerät „Tibber Pulse“ meldet den Energieverbrauch live an die Anwendung. In seinem Heimatland Norwegen ist Tibber nach sieben Jahren die Nummer zwei im Markt. Wir haben mit Tibbers Deutschlandchefin Marion Nöldgen darüber gesprochen, wie die Revolution in unserem Land gelungen ist.
“Wenn der Strompreis an der Börse fällt, profitieren unsere Kunden”
Frage: Die Energiekrise mit explodierenden Preisen hat das Interesse vieler Menschen an ihrem Stromanbieter geweckt. Tibber mit täglichen oder sogar stündlichen Aktienkursen. Hat Ihnen die aktuelle Krise geholfen oder schreckt Sie der Gedanke ab, dass der Tagespreis für Strom unkontrolliert durch die Decke gehen könnte?
Marion Nöldgen: Grundsätzlich kaufen alle Stromanbieter an der Börse. Herkömmliche Anbieter geben gestiegene Preise in der Regel nur zögerlich an die Kunden weiter, aber Preiserhöhungen holen schließlich alle ein. Wir haben auch gesehen, wie Verkäufer massiv in Konkurs gegangen sind, weil ihre Einkaufspreise in die Höhe geschossen sind, sie diese Preise aber nicht schnell genug an ihre Kunden weitergeben konnten.
Vorteil bei uns: Die Preisentwicklung geht in beide Richtungen. das Sinkt der Strompreis an der Börse, profitieren die Kunden sofort. Kunden gewinnen langfristig, wenn der Preis lange nicht feststeht. An dieses Modell müssen sich unsere Kunden natürlich erst gewöhnen. Sie können jedoch jederzeit innerhalb von zwei Wochen kündigen.
Die Marktlage ist für uns sehr gut, da sich mittlerweile mehr Menschen dafür interessieren, wie der Strommarkt funktioniert und welche Preismodelle einzelne Stromanbieter anbieten. Die Kunden sind jetzt besser informiert, was uns derzeit ein enormes Wachstum beschert.
Frage: Trotzdem waren die Deutschen in der Vergangenheit eher faul und blieben oft bei ihren Hauptanbietern. Im besten Fall wird das Geschäft von Vergleichsportalen getrieben – aber hier kann Tibber gar nicht passieren, weil sich Ihre Preise täglich ändern. Ist das nicht ein großer Nachteil?
Marion Nöldgen: Wir sind tatsächlich bei Verivox gelistet. Als wir vor zwei Jahren in Deutschland gestartet sind, ist Verivox direkt auf uns zugekommen. Wir arbeiten im ersten Monat mit einem Durchschnittspreis, um einen Preisvergleich zu gewährleisten. Ab dem zweiten Monat starten Kunden mit einem späteren Jahr tägliche Aktienkurse.
Wir bekommen ziemlich viele Kunden durch Verivox, aber es ist bei weitem nicht der größte Kanal. Wir sehen jetzt Menschen, die auf Informationen zugreifen und fundierte Entscheidungen treffen. Das Wechselverhalten ist in Deutschland durch diverse Insolvenzen von Stromanbietern und stark gestiegene Festpreisverträge stark gestiegen.
In anderen Ländern ist die Digitalisierung weiter fortgeschritten als in Deutschland
Frage: Wenn Vergleichsportale nicht der Hauptkanal sind – wer ist der typische Tibber-Kunde?
Marion Nöldgen: Ganz anders: Auf der einen Seite gibt es Menschen, die alles messen und überwachen: ihre täglichen Schritte, ihren Schlafrhythmus – und damit ihren Energieverbrauch. nach Menschen, die gerne optimieren und sind im Allgemeinen technisch versiert. Auch Kunden, die ihr Elektrofahrzeug zu Hause laden oder eine Wärmepumpe nutzen, bieten wir große Vorteile.
Frage: Das Tibber Pulse-Gerät steht im Mittelpunkt der Live-Überwachung und stündlichen Berechnung des Stromverbrauchs. Es ist in den Stromzähler eingebaut, was theoretisch einfach wäre, wenn die zuständigen Netzbetreiber nicht viele Geräte einbauen würden, die nicht gerade benutzerfreundlich sind. Kaum zu glauben: Da es keine Tasten gibt, muss man zum Entsperren den PIN-Code mit einer Taschenlampe aufblitzen lassen. Wurde in Deutschland eine einfache Chance der Digitalisierung verpasst? Funktioniert es in anderen Ländern besser?
Marion Nöldgen: Tatsächlich kenne ich kein europäisches Land, in dem es für einzelne Haushalte so schwierig ist, den Stromverbrauch transparent nachzuvollziehen wie in Deutschland.
Zum Beispiel in Norwegen, Schweden oder den Niederlanden standardisierte Schnittstellen, wo Sie das Gerät einfach anschließen können. In Deutschland gibt es keine Standardisierung. Es wurde auch nicht berücksichtigt, dass ein Haushalt den Zähler tatsächlich aktiv nutzen kann, um transparent zu sehen, wie viel Strom zu einem bestimmten Zeitpunkt verbraucht wird.
Frage: Ist das nicht die Transparenz, die wir wollen?
Marion Nöldgen: Es muss nur gesagt werden: Bei allem, was sich im Energiebereich für private Haushalte tut, niemand denkt so weit voraus. Lösungen werden von Behörden erdacht, wo die Kundenperspektive gar nicht vorhanden ist. Aufmerksamkeit wird nur vom Netzbetreiber und dem zuständigen Netzbetreiber gelesen. Keine Kundenperspektive. Anders beispielsweise in Norwegen: Dort haben die Netzbetreiber eine direkte Verbindung zum Endkunden. Dort werden die Prozesse auch kundenfreundlicher gestaltet, da Sie sonst für die negativen Folgen selbst aufkommen müssen.
Frage: Ist „Tibber Pulse“ installiert, kann der Energieverbrauch live in der App überwacht und nach aktuellem Stundenpreis berechnet werden – wo lässt sich am meisten sparen?
Marion Nöldgen: Sehr aufgeregt dafür Elektroautos aufladen. Mit unserer App-Integration kann beispielsweise ein Elektroauto automatisch geladen werden, wenn der Strom am günstigsten ist – das Auto ist voll aufgeladen und jederzeit verfügbar. Das spart durchschnittlich 300-400 Euro pro Jahr.
Ebenfalls Verbindung mit dem Sonnensystem bringt tolle Effekte. So können Sie beispielsweise per App entscheiden, ob Solarladung Priorität hat. Deshalb sehen wir bei den Automobilherstellern großes Interesse, mit uns zusammenzuarbeiten.

Das Tibber Pulse Gerät übermittelt seinen Energieverbrauch live an die App. Foto: Tibber
Frage: Wenn Sie den Betrieb in stromgünstige Zeiten verlagern können, wo können Sie dann noch sparen?
Marion Nöldgen: Im Grunde mit allen große Geräte: Geschirrspüler, Waschmaschine, Trockner. Auch ein Durchlauferhitzer verbraucht viel Strom. Wenn Sie hier beispielsweise einen Timer hinzufügen, verbraucht er 80 Prozent weniger. Der bewusstere Umgang mit Strom hat insgesamt eine große Wirkung. Sieht man sich die Wirkung direkt an, gibt es Studien, die eine durchschnittliche Verbrauchsreduktion von 14 Prozent belegen.
Da die App den Verbrauch pro Sekunde anzeigt, ist es einfach, versteckte Stromlecks aufzuspüren. Schritt für Schritt, Live-Tracking Energieverbrauch reduzieren: Weniger Geräte im Standby, Licht ausschalten, Waschmaschine beladen und doppelt so oft waschen.
Tibber ist bereits der zweitgrößte Stromversorger in Norwegen
Frage: Jetzt kommt die Strompreisobergrenze. Wenn der Staat mehr als 40 Cent pro Kilowattstunde zahlen würde, würde er einen erheblichen Schub vom Markt nehmen. Schadet es Ihrem Geschäftsmodell, weil sich viele sagen werden: Die Unterschiede sind nicht mehr so groß, also kann ich beim Hauptlieferanten bleiben?
Marion Nöldgen: Ich glaube im Gegenteil Dabei hilft uns die Strompreisobergrenze. Der Hauptanbieter bietet keine Vorteile. Die Strompreisobergrenze übernimmt nur das Risiko für den Kunden: Verlangt der Anbieter 60 Cent pro Kilowattstunde, erhebt der Staat über 40 Cent und zahlt die Differenz von 20 Cent. Wir glauben, dass es für viele eine großartige Gelegenheit sein wird, einen dynamischen Stromtarif auszuprobieren, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass der Tagespreis manchmal auf 60 oder 80 Cent an einem Tag steigen kann.
Der durchschnittliche Strompreis endet bei 40 Cent. Aber: Unsere Kunden profitieren auch später noch von günstigen Tagespreisen von 20 bzw. 30 Cent. Nicht so bei Anbietern mit Festpreisen.
Frage: Finden Sie diese Strompreisbremse wirklich gut?
Marion Nöldgen: Theoretisch ist die Strompreisbremse gut, weil sie Stromverbraucher in der aktuellen Situation entlastet. In der konkreten Anwendung halte ich das für einen Standardmarkt wie in Deutschland für sehr fragwürdig. Man will niemandem etwas vorwerfen, aber derzeit sind gewaltige Preiserhöhungen in der Pipeline, bis zu 76 Cent pro Kilowattstunde.
Der Strompreis an der Börse lag lange über 40 Kopeken. Eine Strompreisbremse ist, um es ganz böse auszudrücken, ein Förderprogramm für Elektrounternehmen. Den Kunden mag es zunächst egal sein, aber am Ende verlieren ehrlich gesagt alle, weil der Staat die Differenz zahlen muss. Denken Kunden nicht rechtzeitig an eine Kündigung, sitzen sie nach Ablauf der Strompreisbremse auf überhöhten Raten.
(Anm. d. Red.: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat kurz nach diesem Interview als Reaktion auf diverse massive Preiserhöhungen angekündigt, Preiserhöhungen bis Ende 2023 gesetzlich untersagen zu wollen – sofern Stromversorger keine sachliche Berechtigung der Erhöhungen nachweisen können . . ).
Frage: Werden Sie als Startup von den großen Energiekonzernen ernst genommen, die seit Jahrzehnten den Markt dominieren?
Marion Nöldgen: Zunächst einmal ja unterschätzen ist nicht schlimm. So haben Sie immer ein bisschen mehr Freiheit und mehr Freiheit, etwas zu tun. Ich denke, die Konzerne haben uns bereits auf ihrem Radar. Das ist zumindest mein Eindruck, wenn ich sie bei Diskussionsveranstaltungen treffe.
Spannend wird es, wenn die Einführung von Smart Metern überall ankommt, denn dann bewegen wir uns alle im gleichen Markt. Die großen Energiekonzerne sind sich dessen vielleicht nicht so bewusst.
(Anmerkung der Redaktion: Der Austausch alter Stromzähler durch Smart Meter ermöglicht eine Live-Überwachung des Verbrauchs. Im Saarland hat der Austausch in vielen Kommunen bereits begonnen).
Frage: In Norwegen ist Tibber bereits Zweiter auf dem Markt. Wie ist Ihre Prognose für Deutschland? Wo wird Tibber in fünf Jahren stehen?
Marion Nöldgen: Vieles hängt davon ab, wie schnell wir endlich in Deutschland ankommen können Digitalisierung Vorauszahlung Auf europäischer Ebene würde ich sagen, dass der digitale, dynamische Anbieter in den nächsten fünf Jahren mit ziemlicher Sicherheit die Nummer eins sein wird. Ich sehe gute Chancen, dass es Tibber sein wird.
Selbsttest: Übrigens haben wir das Live-Monitoring des Energieverbrauchs getestet, den Erfahrungsbericht können Sie hier nachlesen.